mfa-Bachelor: Meisner Technik

Sanford Meisner (31.August 1905 – 2. Februar 1997) war während der 30er und 40er Jahre Gründungsmitglied des Group Theatre in New York, dem führenden Theater in den 30er Jahren. Er begann nebenbei am Neighborhood Playhouse zu unterrichten und entwickelte dort seine heute nach ihm benannte Schauspieltechnik – die Meisner Technik. 1941 verliess er das Theater, um sich ganz dem Unterrichten zu verschreiben und wurde zu einem der weltweit innovativsten und besten Schauspiellehrer.

Seine Erfahrungen zog er zum einen aus der Arbeit am Group Theatre, an dem er zusammen mit Stella Adler, Lee Strasberg sowie mit Harold Clurmann spielte, und zum anderem aus den Theorien des russischen Schauspiellehrers Constantin Stanislavsky.

Die Theorien Stanislavskys besagen, dass Schauspiel immer mit den eigenen Emotionen stattfinden und man selbst die Rolle füllen muss. In dem Moment, in dem man sich selbst nicht mehr in eine Rolle einbringt, beginnt Stanislawsky zufolge theatralische Übertreibung und die Figur wird zur Schablone.

Sanford Meisner folgte der Philosophie, dass Schauspiel echtes Leben unter gegebenen Umständen ist. Er erkannte, dass es nicht ausreicht wenn zwei Schauspieler/innen in guten Rollen nur emotional wahrhaftig spielen. Erst die authentische Interaktion zweier Schauspieler/innen miteinander macht die Figuren und damit die Szene lebendig. Hierzu muss man als Schauspieler/in lernen „im Moment zu bleiben“, also direkt und spontan in der vorgegebenen Welt zu agieren, präsent beim Spielen zu sein und nie einen wahrhaften und ehrlichen Impuls zum Reagieren zu verpassen. Das funktioniert nur, wenn man mit seinem Partner/seiner Partnerin spielt und sich zu 100 Prozent auf diese/n konzentriert. Schafft man es, seinem Partner/seiner Partnerin zuzuhören und diese/n richtig wahrzunehmen in dem was er/sie tut, ist man im „emotionalem Jetzt“. Um „im Moment zu sein“, muss man seinen eigenen Impulsen folgen, sich ohne inneren Zensor öffnen, und alles, was in diesem Moment passiert, zulassen können.

Es ist für angehende Schauspieler/innen unglaublich schwierig, ihrem Spielpartner/ihrer Spielpartnerin wirklich zuzuhören und spontan sowie ehrlich auf ihn/sie zu reagieren. Die meisten sind damit beschäftigt, ihre eigenen Gedanken zu verfolgen, wie z.B. sich selbst zu beobachten und zu bewerten, sich darüber bewusst sein dass andere ihnen zuschauen, oder auf ihr Stichwort zu achten. Sanford Meisner entwickelte daher die „Repetition Exercise“, um Schauspielanfängern/innen zu helfen, nicht mehr nur über sich selbst nachzudenken und die eigene Spontanität zu entdecken. Denn, so Meisner: Schauspiel ist reagieren („acting is reacting“). Und so lernen Schauspielschüler/innen mit der „Repetition Exercise“, wirkliches Zuhören und Wahrnehmen ihres/r Spielpartners/in und ihrer Umgebung. Somit sind sie in der Lage, echt und wahrhaftig zu handeln (’to act’ / ’acting’ auf Englisch).

Die „Repetition Exercise“ kann als eine Art Improvisation betrachtet werden, deren authentische Qualität die der gewöhnlichen Improvisation jedoch weit übertrifft.  In den Anfängen beginnt die „Repetition Exercise“ damit, etwas an seinem/ihrem Gegenüber wahrzunehmen und es auszusprechen. Das Wahrgenommene muss eine objektive Tatsache, keine Interpretation des Gegenübers sein. Zum Beispiel: „Du schwitzt“ (objektive Tatsache) und nicht „Du hast Angst“ (Interpretation des Schwitzens). Jetzt wiederholt der Partner/die Partnerin den Satz, indem er/sie ihn auf sich bezieht, also: „Ich schwitze“. Das sture Wiederholen dieses Satzes wird dazu führen, dass zu diesem Satz Haltungen oder direkte Emotionen entstehen. So ist es nichts Ungewöhnliches, dass Schauspieler/innen in dieser Übung alleine aufgrund der Aufgabe beginnen zu lachen und der Partner/die Partnerin daraufhin bemerken wird: „Du lachst“. Dies wird der/die erste wiederum aus wahrem Herzen bestätigen: „Ja, ich lache“. So entstehen direkte, pure, wahrhafte Momente. Im weiteren Verlauf kann es genauso passieren, dass eine/r der beiden aufgrund der entstandenen Herzlichkeit, zu weinen beginnt, was der/die andere mit dem Satz: „Du weinst.“ feststellen wird und dadurch selbst so berührt sein kann, dass er/sie ebenfalls zu weinen anfängt. Wenn man in dieser Übung offen und auf den/die Partnerin konzentriert bleibt, wird man lernen echt zuzuhören und wahrzunehmen, sowie im Moment auf sein/ihr Gegenüber und die äusseren Umstände zu reagieren. Vollkommen egal, was man von seinem/ihrem Gegenüber denkt, ob man diese/n mag oder nicht, ob man findet, dass er/sie ein guter Schauspieler/in ist oder nicht – die Striktheit der Übung bringt einen dazu, subjektive Beurteilungen zu unterlassen und nur im Moment zu agieren. Wenn man sich also vollkommen öffnet, nicht versucht zu manipulieren oder die eigenen Emotionen zu zensieren, wird das entstehen, was man sehen will: es wird authentisch!

Diese Übung ist natürlich nur ein Anfang. In den fortführenden Übungen, wie: „Independent Activities“, „Relationship“, „Emotional Preparation“ sowie „Characterwork” wird den Schauspielschüler/innen Werkzeug an die Hand gegeben, sich intensiv auf ihre Rollen vorzubereiten. Durch das ständige Training des „im Moment-Bleibens“ werden die Schauspieler/innen am Ende ihrer Ausbildung die Fähigkeiten erlernt haben, die Konzentration auf den Partner/die Partnerin auch mit Text und Dialog fortzuführen. Es entsteht wunderbares, authentisches Schauspiel durch das Leben im Moment.

Text: ©Lou Binder 2007